Ein Blick von außen auf unseren „Rechtsstaat“

23.02.2024 Wann gerät ein deutscher Bürger ins Visier des Verfassungsschutzes? Die Antwort darauf ist beunruhigend vage
 
Indem sich ein freiheitlicher Staat verhöhnen lässt, schützt er seine Verfassung. Denn zur Herrschaft des Volkes gehören der freie Austausch von Meinungen, die Kritik am Staat, der Wettbewerb der Ideen, und all das umfasst – natürlich – auch das Recht, den Staat zu verhöhnen.

 

Die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt noch an das, das sich „Politisches Kabarett“ nannte: Stachelschweine, Münchner Lach- und Schießgesellschaft, Scheibenwischer, Dieter Hildenbrandt, Volker Pispers und so weiter. Die alle nahmen die Regierungen aufs Korn. Spitzzüngig und intelligent. Heute würden die wahrscheinlich im übertragenen Sinn im Gulag landen wegen „Delegitimierung des Staates“.
 
Früher gehörten auch mal „Die Anstalt“ und Urban Priol dazu; die sind aber inzwischen mainstreamig „abgeschliffen“ worden.
 
Der Einzige, der die politisch-kabarettistische Fahne noch hochhält ist m.E. Matthias Richling.

 

Wenn nun also die deutsche Innenministerin Nancy Faeser von der SPD ankündigt, dass es jeder, der den Staat verhöhne, „mit einem starken Staat zu tun“ bekomme, tut sie das Gegenteil dessen, was sie vorgibt: Sie stärkt die Demokratie nicht, sondern schwächt sie.
 
Das ist auch dann der Fall, wenn dies explizit nur für „Rechtsextremisten“ gelten soll. Denn die Begriffe sind sämtlich nicht klar definiert.
 
Zum Beispiel die Verhöhnung: Was der eine als Scherz wegsteckt, kränkt den anderen zutiefst. In Gesetzestexten wird stets versucht, ein hohes Abstraktionsniveau mit möglichst konkret definierten Rechtsbegriffen zu erreichen. Faeser hingegen führt ihren Kampf „gegen rechts“ mit vielen unbestimmten Begriffen, von der „Hetze“ bis zur „Delegitimierung“.

 

„Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, sondern er hat zu existieren!“
Helmut Schmidt am 30.2007 in „Die Zeit“

 

Wenn dazu auch noch ihre grüne Kabinettskollegin Lisa Paus freimütig zugibt, auch für Meinungsäußerungen „unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit“ das passende Meldeportal schaffen und gesetzliche Regelungen „anpassen“ zu wollen, ist es gerechtfertigt, in höchstem Maße alarmiert zu sein. Die Pläne bedeuten, dass jeder Bürger, der sich unliebsam äußert, es künftig mit einer Art Gesinnungspolizei zu tun bekommen kann.

 

Grundgesetz Artikel 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

 

Es ist erlaubt, die Demokratie des deutschen Grundgesetzes zu delegitimieren. Rechtsextreme Meinungen zu vertreten, ist ebenfalls erlaubt. Doch nach Faesers Plänen soll der Staat künftig eingreifen dürfen, ohne dass klar definiert ist, wo zulässiges „Rechts-Sein“ endet und verfassungsfeindlicher Extremismus beginnt, allein auf Verdacht. Er soll Konten genauso einfrieren können wie legal besessene Waffen einziehen. Eine konkrete Handlung soll dafür nicht mehr nötig sein, ein „Gefährdungspotenzial“ ausreichen.
 
Auch eine „transphobe“ Äußerung kann heutzutage ein Fall von Volksverhetzung sein. Der Satz „Es gibt nur zwei Geschlechter“ gilt bei der Meldestelle „Berliner Register“ beispielsweise schon als rechtsextrem. Meldestellen dieser Art gibt es inzwischen – steuerfinanziert – im ganzen Land. Dort können Bürger verdächtige Äußerungen ihrer Mitmenschen melden. Die staatliche Gesinnungspolizei wird durch staatlich gefördertes Denunziantentum verstärkt.
 
Zur Erinnerung: Grundrechte sind Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, und jede Beschneidung der Freiheit ist grundrechtsrelevant. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Urteilen bestätigt worden.
 
Obwohl der Verfassungsschutz politisch neutral sein soll, lässt er sich offenkundig für politische Zwecke einspannen. Der amtierende Chef Thomas Haldenwang hat sich in dieser Hinsicht schon mehrere Male regelrecht verplappert: Es sei „nicht allein Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Umfragewerte der AfD zu senken“, sagte er bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022. Nicht allein? Es ist überhaupt nicht dessen Aufgabe.
 
Der Verfassungsschutz soll kein Akteur im parteipolitischen Wettbewerb sein. Er hat – parteipolitisch neutral – Informationen über verfassungsfeindliche Umtriebe zu sammeln. Streng genommen müsste der Geheimdienst sich und seinen Präsidenten heute selbst ins Visier nehmen.
 
Haldenwang etwa sagte im November 2023 bei einer Podiumsdiskussion in Berlin auf die Frage nach einer möglichen AfD-Beteiligung an der Bundesregierung: „Wir müssen jetzt tätig werden, um so etwas in sieben Jahren vielleicht zu verhindern.“ Nein, sicher nicht. Die anderen Parteien und andere nichtstaatliche Akteure können sich das zur Aufgabe machen. Der Verfassungsschutz hat sich rauszuhalten.
 
„Was heißt ‚Delegitimierung‘ überhaupt?“, schreibt der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Nessler von der Universität Oldenburg. „Wo verläuft die Grenze zwischen Delegitimierung und verfassungsrechtlich garantierter und demokratiepolitisch erwünschter Kritik?“ Wenn der Verfassungsschutz selbst die Grenze ziehe, dann entscheide ein Geheimdienst faktisch über die Grenzen der Meinungsfreiheit. Das sei absolut verfassungswidrig.

 

Dieses Thema beleuchtete Nicolas Büchse bereits in seinem Dokument „Von Staatsbürgern und Protestbürgern“.
 
Schwacher Staat und Bürgerpflicht: Die Rückkehr der Staatsloyalität
Das von Brandt zitierte Leitbild des mündigen Bürgers war indes schon länger verblasst und seit der Eskalation des Terrorismus im Deutschen Herbst bei weiten Teilen der Gesellschaft geradezu desavouiert. Die politi­sche Kultur hatte sich verändert, denn im Zeichen des Terrorismus erlebten konservative Gesellschaftsvorstellungen eine Renaissance. „Bürgerpflicht“ verdrängte „Bürgerfreiheit“ in den Selbstverortungsdebatten, „Loyalität“ er­fuhr eine Aufwertung zulasten von „Emanzipation“. Die sozialliberale Ge­sellschaftspolitik befand sich in der Defensive.“

 
Uns wird also schon seit geraumer Zeit „Staatsloyalität“ an- und „Staatskritik“ abtrainiert. Inzwischen befinden wir uns im Endstadium: Bürger demonstrieren mit der Regierung gegen die Opposition.

 

„Der rechtliche Instrumentenkasten des Verfassungsschutzes zur Überwachung von Einzelbürgern ist durch den Effekt kommunizierender Röhren ins nahezu Uferlose gesteigert“, schreibt Mathias Brodkorb in seinem Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik“ mit Bezug auf die Wechselwirkungen der vielen Gesetzesänderungen.
 
„Freiheit stirbt immer zentimeterweise“, schreibt Boehme-Nessler im Vorwort zu dessen Buch. Beide kommen zum Schluss, dass die Behörde abgeschafft werden sollte.
 
Sie sind damit nicht allein.

 
Quelle: nzz.ch/international/deutscher-verfassungsschutz-auf-dem-weg-zur-gesinnungspolizei-ld.1815064
 

Passenderweise lese ich zurzeit Josef Kraus‘ Buch „Der deutsche Untertan – Vom Denken entwöhnt“. Wenn ich Zeit dafür finde, schreibe ich darüber vielleicht eine Rezension.
 
Das Zwischengeschreibsel ist wie immer #JustMy2Cent.

 

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