Politiker verkaufen das Volk und Medien halten die Klappe

14.08.2023 Der digitalisierte Staat ist eine Public-Private-Partnership
 
Die europäische digitale Identität wird aktuell von Behörden und Ministerien in Zusammenarbeit mit Unternehmen konkretisiert und in Pilotprojekten in der Praxis erprobt. Während es in der analogen Welt bislang in Deutschland undenkbar wäre, dass staatliche Stellen ein Unternehmen wie Vodafone oder Apple mit dem Betrieb eines Einwohnermeldeamtes oder gar eines ganzen Rathauses in einer Gemeinde beauftragen, scheint dies in einem digitalisierten Staat zum Standardmodell zu werden.
 
90 Millionen Euro werden bis Anfang 2025 in die Entwicklung der europäischen digitalen Identität durch Pilotprojekte investiert, davon etwa 50 Prozent von der EU-Kommission und 50 Prozent von 250 öffentlichen und privaten Organisationen. In vier Pilotprojekten werden seit Frühsommer 2023 elf Anwendungsfälle für digitale Funktionen der EUDI-Brieftasche in Kooperation von Staat und Privatunternehmen ausgearbeitet:
 
Zugang zu staatlichen Verwaltungsdiensten
Bereitstellung von Reisedokumenten (Reisepass, Visa)
Bereitstellung einer digitalen Fahrerlaubnis
Bereitstellung von Bildungsnachweisen (Diplome, Abschlüsse, Zeugnisse)
Bereitstellung von Nachweisen beruflicher Identität (Betriebs- und Berufsausweise)
Zugang zu Sozialversicherungsleistungen
Bereitstellung von medizinischen Rezepten
Unterzeichnung von Verträgen
Registrierung von SIM-Karten für Mobilfunknetze
Eröffnung von Bankkonten
Ermöglichung von Online-Zahlungen
 
In dem Pilotprojekt Potential sollen sechs dieser Anwendungsfälle erprobt werden. In dem Projekt kooperieren auf deutscher Seite verschiedene Bundesministerien und Bundesbehörden zusammen mit Unternehmen wie Deutsche Telekom, Vodafone, O2-Telefonica und der Bank ING-Diba bei der Entwicklung von Spezifikationen und Softwarelösungen.
 
Im EU Digital Identity Wallet Consortium kooperieren europaweit Behörden mit Unternehmen wie Visa, Condor, Finnair, Datev, Amadeus, der Schweizerischen Bundesbahn oder Siemens an einer Referenz-Anwendung, um in der EUDI-Brieftasche sowohl digitale Reisedokumente als auch auch Flug- und Bahntickets oder Hotelbuchungen speichern zu können.
 
Im Projekt NOBID arbeiten fünf öffentliche Verwaltungen zusammen mit 15 privaten Organisationen wie dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband, dem Rüstungskonzern Thales oder der italienischen Bank Intesa an einer Software, um aus der EUDI-Brieftasche heraus digitale Zahlungen tätigen und verwalten zu können.
 
Im Projekt DC4EU kooperieren 35 öffentliche Verwaltungen mit 40 privaten Einrichtungen an einer Anwendung der digitalen Identität im Bildungs- und Sozialversicherungsbereich. Dies beinhaltet die Schaffung eines digitalen Sozialversicherungsausweises. Bis Frühjahr 2025 sollen aus den Pilotprojekten die dauerhaft funktionsfähigen Anwendungen für die EUDI-Brieftasche entwickelt sein.
 
Die gesetzliche Umsetzung soll auf europäischer Ebene durch eine „Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste“ (eIDAS 2.0) erfolgen. Ende Juni einigten sich Europäisches Parlament und Ministerrat über die Ausgestaltung der Verordnung. Die EU-Kommission hatte gefordert, die EUDI-Brieftasche mit einer lebenslangen Personenkennziffer zu verbinden, was auf Widerstand des EU-Parlaments stieß. In der Einigung wurde auf eine „dauerhafte Personenkennziffer“ als Teil der digitalen Identität verzichtet.
 
Das Portal Netzpolitik berichtet, dass sich Konzerne wie Deutsche Post, Deutsche Telekom oder Google in den Beratungsprozess einbrächten. Privatunternehmen würden in ihren Stellungnahmen betonen, dass sie „für mehr Innovation“ Zugriff auf die EUDI-Brieftasche benötigen würden, es einer engen Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft bei der Entwicklung bedürfe und die EUDI-Brieftasche auch durch Privatunternehmen ausgegeben werden solle. Der Staat müsse eine Basisinfrastruktur bereitstellen und die digitalen Brieftaschen/Wallets der Privatunternehmen zertifizieren. In dem Artikel wird Google zitiert: die „Google Wallet“ stünde für eine Nutzung bereit und sei auch schon praxiserprobt. Bis November 2023 soll ein Konzept für die Ausgestaltung der digitalen Identität in den Workshops erarbeitet sein.
 
Noch ist keine Festlegung darüber bekannt, wie die digitale Infrastruktur für die EUDI-Brieftasche in Deutschland aufgebaut wird. Es ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen anderer staatlicher Digitalisierungsprojekte davon auszugehen, dass die Entscheidungsträger sich nicht für dezentrale Strukturen mit hohen Standards für Datenschutz entscheiden werden, sondern eher für zentralisierte Lösungen auf Servern bei Privatunternehmen, die mit den Smartphones der Bürger über Clouddienste verbunden sein werden. Es liegt nahe, dass die bereits bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens mit Hilfe von Sanktionsdrohungen eingeführten Konzepte ähnlich bei der Digitalisierung der staatlichen Verwaltungsaufgaben ausgestaltet werden könnten.
 
Durch die Koppelung staatlicher und privatwirtschaftlicher Interessen bei der Digitalisierungsagenda profitieren beide Seiten: Behörden erhalten durch die Digitalisierung der Verwaltungsvorgänge einen Zuwachs an Möglichkeiten, Daten der Bürger mit wenig Personalaufwand zu überwachen und auszuwerten. Strafen und Sanktionen bei Gesetzesüberschreitungen ließen sich per Mausklick verhängen und eintreiben.
 
Auch sind in einem digitalisierten Staat verbesserte Steuerungsmöglichkeiten der Bevölkerung zum Erreichen von politischen Zielen gegeben. Um „Klimaziele zu erreichen“, ließe sich beispielsweise eine Reduzierung der Mobilität durch Deaktivierung von Zugtickets, Hotelbuchungen oder des digitalen Führerscheins sehr gezielt zu definierten Zeiten oder für definierte Berufsgruppen umsetzen.
 
Die EUDI-Brieftasche wäre vermutlich auch die Infrastruktur, über die Bürger ein Konto mit digitalem Zentralbankgeld direkt bei der Notenbank einrichten und verwalten müssten. Es bestehen Missbrauchsmöglichkeiten seitens staatlicher digitaler Macht, Kritik an der Regierung und Demonstrationen ohne öffentliches Aufsehen durch Entzug von Mobilität oder Finanzierungsquellen zu unterbinden und Oppositionelle ohne Gerichtsprozesse einzuschüchtern.
 
Auf Seiten der Privatwirtschaft ermöglicht die Public-Private-Partnership bei der Digitalisierung des Staates Zugang zu neuen Geschäftsfeldern. In einem Oligopol der wenigen staatlich zertifizierten Anbieter können hohe Gewinnmargen erzielt werden.
 
Wenn die europäische digitale Identität als zentralisierte Infrastruktur für die genannten Anwendungsfelder eingeführt wird, ist der Wert der gesammelten Daten mit staatlichem Echtheitszertifikat von (fast) allen EU-Bürgern für Cyber-Kriminelle eine wertvolle Beute. Deshalb ist trotz aller Bekenntnisse zur Datensicherheit davon auszugehen, dass durch Hacking-Angriffe früher oder später vertrauliche Daten gestohlen werden.
 
Wenn hoheitlich-staatliche Verwaltungsakte nicht mehr in Gebäuden des Staates von Angestellten des Staates durchgeführt werden, sondern über Softwareumgebungen und Apps der Privatwirtschaft, gespeichert auf Servern der Privatwirtschaft, dann verändert sich auch die Rolle des Staates in der Gesellschaft. Von einer regulierenden Instanz, die unabhängig von privaten Profitinteressen das gesellschaftliche Zusammenleben gewährleisten soll, würde der Staat zu einer Art Zertifizierungsstelle, die operativ abhängig ist von den Privatunternehmen, die sie zertifiziert und beauftragt.

 
Quelle: multipolar-magazin.de/artikel/der-digitalisierte-staat
 

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
(Jean-Claude Juncker ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission)
Quelle: Spiegel, 27.12.1999

 

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