Eine gesetzeskonforme Systemänderung wäre möglich

Wie in dem Beitrag „Wertewesten-Demokraten“ zeigen wieder ihr undemokratisches Gesicht“ angekündigt, eine Analyse, wie man das System ändern könnte – wenn man wollte. Da der Beitrag nur mit einem Abo zugänglich ist, werde ich das Interview auszugsweise wiedergeben.

 

13.01.2024 Prof. Patzelt: „Das hat unsere Politikerschaft mehr und mehr zu einer abgehobenen politischen Klasse gemacht“
 
Epoch Times sprach mit Prof. Werner J. Patzelt unter anderem über neue Parteigründungen, über ein Land am Rande des Nervenzusammenbruchs und über eine CDU auf der Suche nach ihrem Wesenskern. Prof. Patzelt zählt zu den bekanntesten Politikwissenschaftlern in Deutschland. Fast drei Jahrzehnte war er Inhaber des Lehrstuhls für politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Prof. Patzelt ist heute auch Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegium in Brüssel.
 
EP: Müssen wir nur eine Politikwende hinbekommen, um Dinge zum Besseren zu verändern? Oder liegt bereits ein Fehler im System vor?
Prof. Patzelt: Unser politisches System ist gut gebaut. Es gibt aber einige Verbesserungsmöglichkeiten – zwar vor allem daran, wie Deutschlands Politiker dieses System benutzen, doch auch an seiner Konstruktion. Von den letzteren will ich zwei nennen.
 
Die erste Verbesserungsmöglichkeit wäre die Einführung von gesetzesaufhebenden Referenden. Man kann sie auch, wie in sächsischen Debatten, einen „zwingend von der Politik zu berücksichtigenden Volkseinwand“ nennen.
 
Worum geht es? Das Parlament hat, im üblichen Zusammenwirken mit der Regierung, ein Gesetz beschlossen. Anschließend gibt es – von dringlichen Gesetzen abgesehen – eine Frist von etwa Hundert Tagen, in denen eine Antragsinitiative eine verfassungsmäßig vorgegebene Anzahl von Unterschriften für das Begehren sammeln kann, eine Volksabstimmung über das bereits beschlossene Gesetz durchzuführen. Kommen ausreichend viele Unterschriften zustande, dann findet eine Volksabstimmung mit der einfachen Frage statt, ob dieses Gesetz wirklich in Kraft treten soll oder nicht.
 
Das Wesentliche an diesem Verfassungsinstrument ist keineswegs die tatsächliche Durchführung einer Volksabstimmung, sondern deren grundsätzliche Möglichkeit. Denn sobald es diesen verbindlichen „Volkseinwand“ gibt, muss die Politikerschaft in Rechnung stellen, dass neue Gesetze nicht nur „verfassungsgerichtsfest“ sein müssen, also dem geltenden Verfassungsrecht nicht widersprechen dürfen. Vielmehr müssen sie auch, wie man in der Schweiz sagt, „referendumssicher“ sein. Die Folge wäre, dass der Bundestag umstrittene Gesetzesvorhaben nicht mehr zum tatsächlich geltenden Recht machen könnte, falls eine parlamentarische Mehrheit gegen eine Bevölkerungsmehrheit stünde. Letzteres gehört zwar sehr wohl zur repräsentativen Demokratie, hat aber in einer Demokratie eine politisch überzeugend begründbare Ausnahme zu sein.
 
Zweitens bräuchten wir veränderte Rekrutierungsmuster unseres politischen Personals. Dieses besteht mehr und mehr aus Leuten, die seit Jugendtagen wenig anderes als Politik betrieben haben. Das hat unsere Politikerschaft mehr und mehr zu einer abgehobenen politischen Klasse gemacht. Vieles veränderte und verbesserte sich da, wenn man Vorwahlen für alle Parlamentsmandate einführte.
 
Das sähe so aus: Wer Kandidat für eine Landtags- oder Bundestagswahl werden will, muss sich erst einmal das Recht zur Kandidatur erstreiten – und zwar nicht in Parteikreisen bei den Nominierungsversammlungen, sondern vor der Bevölkerung bei Vorwahlen, die in jedem Wahlkreis zur Kandidatenkür abgehalten werden, und an denen sich die gesamte Wählerschaft des Wahlkreises beteiligen kann.

 

Das habe ich auch schon mehrfach in meinem Umfeld als Alternative zum momentanen System erklärt. Oftmals ernte ich Schulterzucken und die Frage, wie das denn funktionieren solle. Einmal erhielt ich als Antwort „das wäre ja eine Räterepublik“. Da ich mich mich mit den gesetzlichen Gegebenheiten nicht genug auskenne, hatte ich dem nie etwas entgegenzusetzen. Jetzt schon! 😀

 

Um ein solches Verfahren einzuführen, müsste man nicht einmal die Verfassung ändern, sondern nur das Parteiengesetz und die Wahlgesetze.

 

Genau hier liegt das Hase im Pfeffer begraben. Das müssen wir erstreiten! Nicht „Die Ampel muss weg!“ oder ähnlicher Nonsens. Vor nicht allzu langer Zeit hieß es „Merkel muss weg!“. Jetzt ist sie weg und nichts, rein gar nichts hat sich geändert. Im Gegenteil! Inzwischen haben wir Politiker an der Spitze, die außerhalb unserer(!) demokratischen Kontrolle liegen, völlig außer Rand und Band geraten sind und Agenden durchdrücken und Gesetze erlassen, die sich zum Großteil negativ auf uns auswirken.
 
Viele legen jetzt große Hoffnung auf die AfD. Mit der kann es besser werden. Oder auch nicht. Wer weiß, was die dann anstellt.
 
Im Grunde genommen bleibt uns nur eine Möglichkeit, dieses System grundlegend zu ändern: Wir müssen endlich erwachsen und zu mündigen Bürgern werden!

 

Als Folge würde die heute nicht seltene Karriere zur Ausnahme, dass man vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal gelangt. Auch hätten endlich solche Leute eine Chance darauf, erst in einem solchen Alter in hauptberufliche politische Mandate anzustreben, in dem man schon außerhalb der Politik bewiesen hat, dass man fachliche Qualifikation und politische Führungsfähigkeiten besitzt.
 
EP: Sie kennen es noch aus den 1970er-, 80er-Jahren: Die Grünen haben Volksentscheide schon früh befürwortet. Aber sie bleiben auf der Strecke …
Prof. Patzelt: Das ist immer daran gescheitert, dass Parteien, sobald sie an der Macht waren, sich gegen Begrenzungen der Macht von Parteieliten und Parlamentsmehrheiten gesträubt haben. So etwas verlangen in der Regel Oppositionsparteien – und meinen es anscheinend auch da eher taktisch als ernsthaft. In Sachsen etwa war die Einführung des Volkseinwands Teil des derzeit geltenden Koalitionsvertrags und zuvor Teil des Wahlprogramms der CDU. Diese Reform wurde dann während der ganzen Wahlperiode verschleppt, weil die Grünen und die Sozialdemokraten natürlich merkten, dass in einem Land mit rechter Bevölkerungsmehrheit dieses Verfassungsinstrument linke Gestaltungspolitik sehr erschwert.
 
Und das heißt: Statt sich zu überlegen, wie man linke Politik insgesamt wählerattraktiv machen könnte, richtet sich das Sinnen und Trachten darauf, sich die Verwirklichung der eigenen parteipolitischen Vorlieben mit passenden Verfahrensregelungen zu erleichtern.

 

Siehe meinen Kommentar oben.

 

EP: Treiben die Medien die Politik vor sich her oder andersherum? Was ist der aktuelle Stand?
Prof. Patzelt: Natürlich haben die Medien großen Einfluss darauf, was die Politik machen kann. Nicht nur werden ständig demoskopische Umfragen zur Akzeptanz politischer Vorhaben und Entscheidungen durchgeführt oder Ranglisten des Vertrauens in Politiker und Parteien erarbeitet. Beides hat Einfluss auf die Handlungsspielräume und Handlungskraft von Politikern.
 
Außerdem beeinflussen die Medien – ganz stark vor Wahlkämpfen – den Meinungstrend dahin gehend, welche Themen man als Politiker oder Partei mit wohl welcher Resonanz auf welche Weise ansprechen kann. Und vor allen Dingen prägen die Medien, was die Leute über Politik und ihre Handlungsumstände wissen. Für die allermeisten Leute spielt sich Politik nämlich außerhalb ihrer eigenen Lebenswelt ab, gelangt also nur über die Medien zu ihrer Kenntnis.

 

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