06.09.2023 Berlins bizarres Anschwärz-Portal: Lesen Sie, welche Meldungen dort einlaufen
Die Schwelle wird von den Betreibern ganz bewusst niedrig gehalten.
Das einem Online-Pranger ähnelnde Projekt wird finanziell unterstützt von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung unter Leitung von Cansel Kiziltepe (SPD). Die Fördersumme ist hoch. Allein 2023 fließen aus Mitteln der Senatsverwaltung rund 830.000 Euro an die Berliner Registerstellen.
Nach eigenen Angaben sammelt das Register Ereignisse, „die rassistisch, antisemitisch, LGBTIQ*-feindlich, antiziganistisch, extrem rechts, sozialchauvinistisch, behindertenfeindlich oder antifeministisch sind“.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Informationen über linksextremistische Aktivitäten, islamistisch motivierte Straftaten oder Zuwanderer-Kriminalität finden im Register keine Berücksichtigung. Entsprechende Einträge sucht man denn auch vergeblich.
Die Meldungs-Chroniken werden beherrscht von Einträgen wie:
ᐅ An einem Wanderweg im Forst Grunewald wurde auf einem Hinweisschild der Schriftzug ‚No Linksfaschos! Fight Antifa‘ entdeckt.
ᐅ An der Technischen Universität Berlin wurde in einer Toilettenkabine ein Aufkleber des extrem rechten Compact-Magazins entdeckt.
ᐅ Eine 12-jährige Person äußerte gegen 19.30 Uhr das Wort „Ihhhh!“ gegenüber einer Frau. Die Betroffene bezog dies darauf, von dem Kind als LGBTIQ*-Person identifiziert worden zu sein.
ᐅ Es wurde ein Aufkleber mit der Aufschrift ‚Werder gegen Links entdeckt, auf dem das Logo des SV Werder Bremen, sowie eine Faust, die ein Antifa-Logo zerschlägt, abgebildet sind.
ᐅ Auf dem Campus der Technischen Universität Berlin wurden die Wahlplakate der queer*emanzipatorischen Liste zerstört und abgerissen.
ᐅ Es wurde ein Sticker mit der Aufschrift „Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land“ entdeckt.
ᐅ Es wurde ein antifeministischer Sticker entdeckt, der sich gegen gendergerechte Sprache richtete.
ᐅ Eine Frau beschwerte sich über ausländische Menschen und Migrant*innen in Berlin, erklärte, diese würden bevorzugt behandelt werden und sie selbst würde sich deshalb in Deutschland nicht mehr sicher fühlen.
ᐅ Eine Person äußerte wiederholt verallgemeinernde und stereotypisierende Aussagen über „Asiaten“. Dadurch wurden rassistische Vorstellungen bedient und reproduziert.
ᐅ Mehrere Polizist*innen jagen um 16:05 Uhr People of Color und kontrollieren sie. Es wurden ausschließlich People of Color und keine Weißen kontrolliert.
ᐅ Eine Frau verbreitet an einem Verkaufsstand Verschwörungserzählungen zu Corona. Laut der meldenden Person waren in dem Verkaufssortiment der Frau mehrere impfkritische und esoterische Bücher.
ᐅ Es wurde ein Regenbogen-Herz-Sticker der BVG zerstört.
ᐅ Zwei Frauen äußerten sich mehrfach rassistisch über das Verhalten von Ausländer*innen und Geflüchteten in ihrer Nachbarschaft. Sie behaupteten im Verlauf des Gesprächs, Geflüchtete würden auf dem Wohnungsmarkt bevorzugt, während deutsche Familien vergeblich suchen würden.
Als Quellen für ihre Chronik-Einträge nutzt das Register unter anderem Presseberichte, Schilderungen von Opferberatungsstellen, die sozialen Netzwerke und Polizeimeldungen. Hauptzuträger sind jedoch meldefreudige „Bürger*innen“. Die können ihre Informationen in ein simples Online-Formular eintippen. Abgefragt wird lediglich, was wo und wann passiert sei. Namen und Telefonnummer müssen die Informanten nicht preisgeben.
Haben die Register-Verantwortlichen den Wahrheitsgehalt der Meldungen überprüft, bevor sie diese öffentlich machten? Oder wurden die Behauptungen der „Anschwärzer“ eins zu eins übernommen?
Auf entsprechende Fragen von FOCUS online antwortete die Projektleiterin Kati Becker nicht. Stattdessen kündigte sie eine „in den kommenden Tagen auf unserer Internetseite“ erscheinende Erklärung an. Darin würden „diese und andere Fragen“ beantwortet. Sie wies die Kritik an der Arbeit des Registers zurück. In einem Gespräch mit der „Berliner Zeitung“ sagte sie, die Vorwürfe seien nicht neu und kämen „hauptsächlich aus der rechtsextremen Ecke“, aber auch verstärkt aus den Reihen „von transfeindlichen Aktivistinnen der Frauenbewegungen“.
Zum Vorwurf, man animiere die Menschen zum Denunzieren wie einst die DDR-Staatssicherheit, sagte sie: „Wir haben nicht die Methoden, die die Stasi hatte. Wir haben nicht die Zielsetzung, die die Stasi hatte. Wir machen etwas anderes.“
Quelle: focus.de/panorama/buerger-denunzieren-buerger-das-berliner-register-lesen-sie-mal-welche-meldungen-dort-einlaufen_id_203781786.html
31.08.2023 Meldestellen im ganzen Land erzeugen ein Klima der Verdächtigung – zum Beispiel das „Berliner Register“
In der deutschen Hauptstadt wird Buch geführt über missliebige Äußerungen von Bürgern. Selbst wenn diese erlaubt sind, kommen sie auf die Liste. Die Aktion läuft steuerfinanziert und ohne Rechtsgrundlage.
Wer sich rächen will, eine Intrige spinnen, einem Kollegen schaden, der hat in Deutschland leichtes Spiel. Im ganzen Land entstehen „Meldestellen“ für Vorfälle aller Art. Objektivierbare Kriterien gibt es dabei nicht.
Problematisch erscheint nicht so sehr, was gemeldet wird, sondern dass es diese Portale überhaupt gibt. Denn die gemeldeten Vorfälle bewegen sich unterhalb der Strafbarkeitsgrenze und sind damit ganz überwiegend vom Recht auf Meinungsfreiheit erfasst.
Die Zahl wiederum ist dynamisch, denn jeder kann Meldestelle werden: „Du machst in Deinem Umfeld bekannt, dass Du Anlaufstelle bist“, lautet eine der Instruktionen auf der Website für Personen, die selbst zur Meldestelle werden wollen. Eine erkennbare Rechtsgrundlage gibt es nicht, obwohl das Register steuerfinanziert ist.
Im Gegensatz zur Kriminalitätsstatistik der Polizei beziehen die Register auch Vorfälle in die Dokumentation ein, die keine Straftaten sind oder die nicht angezeigt wurden. Letztlich bedeutet das: Bürger denunzieren Bürger.
Ein Aufkleber mit der Aufschrift «Es gibt nur zwei Geschlechter» würde in der Logik des Registers als rechtsextrem eingestuft, wie eine leitende Mitarbeiterin bestätigt. Allerdings nicht in jedem Fall: „Wir schauen, von wem der Aufkleber stammt, und wenn er von der AfD ist, dann nehmen wir ihn auf.“ Man könne ja im Parteiprogramm nachlesen, was die Partei wolle.
Um Strafbarkeit geht es dem Register nicht. „Es geht eher darum, ein gesellschaftliches Klima zu beschreiben, denn aus Meinung wird irgendwann Verhalten“, sagt die Mitarbeiterin.
Es geht also darum, eine zivilgesellschaftliche Grauzone des Verdachts und der Prä-Strafbarkeit zu schaffen. Dass man den Rechtsstaat dabei untergräbt, scheint egal.
An der Zahl der „Vorfälle“ wird durchaus getrickst. Das gibt die Verwaltung offen zu. In einem Brief aus der Berliner Sozialverwaltung, der der NZZ vorliegt, bestätigt der zuständige Sachbearbeiter, dass er es völlig in Ordnung findet, wenn derselbe «transfeindliche» Aufkleber, der von fünf Personen gemeldet wird, als fünf transfeindliche Vorfälle gezählt wird.
Im Bundestag wurde im März lebhaft über das Demokratiefördergesetz diskutiert, das auf Betreiben der Grünen kommen soll. Man nimmt dort an, dieses Gesetz stärke die Demokratie.
Das Demokratiefördergesetz ist nicht die einzige Regelung, die zur Denunziation einlädt. Bereits in Kraft getreten ist das Hinweisgeberschutzgesetz, das es Whistleblowern ermöglichen soll, auf Missstände in der Arbeitswelt aufmerksam zu machen, ohne dafür Nachteile befürchten zu müssen. Nur dass Deutschland bei der Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie über das Ziel hinausgeschossen ist und ein Monstrum erschaffen hat, das zur Denunziation einlädt. Über 100 000 Meldestellen bei Arbeitgebern werden derzeit dafür aufgebaut.
Quelle: nzz.ch/international/meldestellen-wie-das-berliner-register-schaffen-ein-klima-der-verdaechtigung-ld.1753922