Top-Ökonom Hans-Werner Sinn warnt vor schweren Jahren für Deutschland: „Staat wird heillos überfordert sein“
Geschäftstüchtig oder besonders dumm? Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn prophezeit im Merkur-Interview Deutschland schwere Jahre. Schuld daran sei nicht nur der Ukraine-Krieg.
Sind die guten Zeiten für die nächsten zehn, 15 Jahre vorbei?
Sinn: Nicht nur für die nächsten 15 Jahre, sondern für eine längere Periode. Das liegt zum einen daran, dass die Grünen uns die billige Energie ohnehin abstellen wollen. Zum anderen liegt es daran, dass die demografischen Probleme überhandnehmen. Das wissen wir eigentlich schon seit Anfang der 80er-Jahre. Wir haben nun mal die Baby-Boomer, die heute 56- bis 60-Jährigen, die bald in Rente gehen wollen. Hinter dieser Bevölkerungskohorte kommen nicht mehr allzu viele neue Menschen nach. Wir haben ein riesiges Versorgungsproblem, weil die Arbeitsbevölkerung wegbricht. Einige sagen dazu Facharbeitermangel, aber es geht in Wahrheit um alle Berufsschichten. Deutschland ist besonders betroffen, weil der Pillenknick bei uns früher kam als in anderen Ländern.
Stichwort Inflation. Wir reden heuer schon von sechs Prozent, vielleicht mehr. Aber die Europäische Zentralbank (EZB) traut sich nicht, die Zinsen anzuheben, weil sie befürchtet, dass die Konjunktur leidet.
Sinn: Das Mandat ist ganz eindeutig im Maastrichter Vertrag geregelt: Die EZB muss die Preise stabil halten und darf keine Abwägung mit anderen Zielen wie zum Beispiel Wachstum oder Vollbeschäftigung vornehmen. Die EZB muss handeln und die Preise stabilisieren. Einige sagen ja, die EZB habe die Preissteigerungen nicht verursacht, also müsse sie dagegen auch nichts tun. Falscher kann man nicht argumentieren, denn das Mandat stellt nicht auf die Ursachen der Inflation ab, sondern die Möglichkeiten, sie zu bekämpfen. Und die bestehen nun einmal in Zinserhöhungen. Im Übrigen hat die Zentralbank die Preissteigerungen sehr wohl mit verursacht. Mit frisch geschaffenem Zentralbankgeld wurden Staatspapiere für über 4000 Milliarden Euro gekauft. Dadurch hat die EZB die Zinsen für Staatspapiere runtergedrückt und die Staaten ermuntert, sich zu verschulden. Ein zweiter Effekt kommt hinzu: Die EZB hat, indem sie der Zinswende der Amerikaner nicht folgte, eine Abwertung des Euro verursacht. Diese Abwertung übertrug sich eins zu eins in höhere Importpreise – auch die Preise importierter Energie.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagt, wir müssen die Atommeiler länger laufen lassen und Fracking neu diskutieren. Die Grünen sind gegen beides. Wer hat Recht?
Sinn: Söder. Wir haben noch drei Atomkraftwerke, die betriebsbereit sind, und drei, die letztes Jahr abgestellt wurden. Insgesamt können mindestens fünf bis sechs Kraftwerke in Betrieb gehalten oder genommen werden. Und es handelt sich nach den Festlegungen der EU dabei um grüne Energie. Was man jetzt tun wird, ist, die Kohlekraftwerke verstärkt zu nutzen. Das ist aus Sicherheitsaspekten vertretbar, denn Braunkohle liegt auf deutschem Territorium. Diese Energie kann uns keiner nehmen – aber sie ist natürlich CO2-schmutzig.
Ich habe den Grünen nie abgenommen, dass sie am Klimathema so ernsthaft interessiert waren, wie sie taten. Denn dann hätten sie die Kernkraft nicht verteufelt. Die Grünen sind aus der Anti-Atomkraft-Bewegung entstanden. Als das Klimathema aufkam, wurden sie zunächst auf dem linken Fuß erwischt. Dann aber machten sie sich auch dieses neue Thema zu eigen und schwangen sich mutig zum Doppelausstieg aus Kernkraft und Kohle auf. Spätestens Putin hat nun klargemacht, dass ihre Energiewende ein Scherbenhaufen ist. Der Flatterstrom aus Wind und Sonnenenergie, auf den sie setzten, braucht als Komplement zwingend den Strom aus Gaskraftwerken, um während der vielen Dunkelflauten die Stromversorgung zu sichern. Der grüne Wasserstoff, von dem sie träumen, kann zwar auf längere Frist auch Ersatz bieten, doch wird er aus den französischen Elektrolyseuren stammen, die mit Atomstrom betrieben werden.
Wie eng wird der Gürtel? Stehen wir erst am Anfang einer negativen Wohlstandsentwicklung?
Sinn: Ja, so ist das. Und dass es so kommen wird, ist nicht neu. Wissenschaftler prognostizieren das schon lange, doch ist der öffentliche Diskurs zu kurzatmig, um das zu hören.
Was ist denn Ihre Botschaft an die Bürger?
Sinn: Sorgt selber für euch. Glaubt nicht daran, dass der Staat das schafft. Der Staat wird heillos überfordert sein mit den sozialpolitischen Aufgaben. Die sozialen Sicherungssysteme sind nicht in der Lage, die Entwicklung des Lebensstandards so fortzuführen, wie wir es gewohnt sind.
Quelle: merkur.de/wirtschaft/institut-hans-werner-deutsche-wirtschaft-ukraine-krieg-folgen-inflation-energie-prognose-ifo-91496278.html