Endlosschleife

Unsere Nachrichtensendungen sind eine komplette Verblödungs- und Verarschungsmaschinerie, meine Damen und Herren. Und die läuft hier im Dauerbetrieb. Im permanenten Dauerbetrieb. Und es wiederholt sich alles endlos.
 
Sie können das überprüfen, nachts, da senden die schon mal Nachrichten von vor 25 Jahren. Haben Sie das schon mal gesehen? Beim ersten Mal war ich völlig durcheinander. Da saß ich nachts im Hotel und hab‘ so durchgezappt und dann … da … Nachrichten. Bin ich hängengeblieben. Nachrichten – muss ich auf dem Laufenden bleiben. Wat gibbet Neues? Kenn‘ ich schon. War letzte Woche. War gestern. Wat gibbet Neues? Erzähl was Neues!
 
Ich hab‘ 5 Minuten gebraucht, bis ich gemerkt hab‘: Der ist doch schon tot!
 
Endlosschleife! Und es ändert sich nichts, meine Damen und Herren.
 
Wir mixen die Parteien alle vier Jahre neu in die Koalitionen, und was verändert sich, meine Damen und Herren? Es verändert sich gar nix! Nennen Sie mir irgendeinen der Bereiche, die ich eben aufgezählt hab‘, wo irgendwas besser geworden ist in den letzten 40 Jahren.
 
Gesundheitswesen: Ist irgendwas besser geworden durch die Reformen. Krankenhäuser, Pflegeheime … ist irgendwas besser geworden? Bildungswesen: Sind die Schulen besser geworden? Sind die Kindergärten besser geworden? Ist die Staatsverschuldung besser geworden?
 
Seit 20 Jahren erzählen die uns alle 10 Jahre denselben Witz: Wir machen jetzt nochmal richtig Schulden, kurbeln die Konjunktur an, dann gibt’s einen nachhaltigen Aufschwung und davon wird alles bezahlt. Das erzählen die uns alle 10 Jahre. Und weil der Deutsche nicht so gut behalten kann, glaubt er jedes Mal wieder: Jetzt haben sie das Ei des Kolumbus gefunden!
 
Ist bei der Arbeitslosigkeit was besser geworden? Das Bruttosozialprodukt ist in den letzten 30 Jahren kontinuierlich gestiegen – genau wie die Arbeitslosigkeit. Durch unsere Wirtschaftspolitik.
 
Wo ist was besser geworden? In der Umweltproblematik? Ist irgendwas besser geworden? Nein, natürlich nicht! Und das wissen wir auch. Wir spüren es ganz tief in uns drin.
 
Die meisten Menschen haben inzwischen eine Ahnung davon, was hier los ist. Wir sitzen alle in einem Zug und rasen mit ungebremster Geschwindigkeit auf einen Abgrund zu. Dieser Abgrund sieht ungefähr so aus wie die Gesellschaft der „Vereinigten Staaten von Amerika“, wo mehr Menschen im Knast sitzen pro tausend Einwohner als in jedem anderen Land der Welt. Weil sie einfach wegsperrt werden, wenn sie arm sind und sich wehren. Auf diese Art Gesellschaft rasen wir zu: Jeder für sich und Gott gegen alle.
 
Wir sitzen in dem Zug und es traut sich keiner, die Notbremse zu ziehen. Wir haben zu viel Angst, die Notbremse zu ziehen. Man kann ja durchgerüttelt werden. Da kann einem der Kaffee über die Hose schwappen. Dann lieber den Abgrund. Da wissen wir schon, was kommt. Wir ziehen nicht die Notbremse. Wir tauschen alle paar Jahre den Lokführer aus und sagen „Gib Gas und halt Kurs!“
 
Ich mach‘ jetzt seit 27 Jahren Kabarett, meine Damen und Herren. In den 27 Jahren hat sich thematisch nicht viel verändert. Ich mach‘ immer noch über dieselben Themen Kabarett. Und wenn die Leute jetzt kommen und sagen: „Im Moment ist es aber auch ganz einfach für euch. So leicht war es ja auch noch nie für euch“ – das hör‘ auch auch seit 27 Jahren, ob Sie das glauben oder nicht. Seit 27 Jahren kommt hinterher jeden Monat mindestens ein Mal einer und sagt: „Aber so leicht wie jetzt haben sie es euch noch nie gemacht, oder?“
 
Sie wollen doch auch gar nicht vernünftig regiert werden, geben Sie es doch endlich zu! Sie haben sich 16 Jahre lang im Kabarett über Helmut Kohl totgelacht und haben den alle vier Jahre wieder brav zum Kanzler gewählt. Und das machen Sie mit der Merkel jetzt auch. Ich kenn‘ Sie inzwischen. Sie wollen doch nicht vernünftig regiert werden. Sie wollen einfach Spaß haben, das isses doch! Mit Freude in den Abgrund – das ist doch ein schönes Konzept.
 
Der Deutsche ist ein Mensch, der immer um denselben Häuserblock spazieren geht, in jeder Runde in denselben Scheißhaufen tritt, und sich dann eine Runde lang lautstark darüber aufregt, warum seine Schuhe so stinken. Und jetzt müsse endlich mal was gemacht werden und so geht es nicht weiter. Aber wehe, Sie schlagen dem Deutschen vor, mal einen Bogen um den Scheißhaufen zu machen. Dann sagt der Deutsche: „Keine Experimente!“ Damit können Sie bei uns Wahlkampf machen. Stabile Verhältnisse! Bloß keine Experimente! Schon gar nicht mit Extremisten. Es könnte ja was besser werden. Lieber die Politik, von der wir seit 30 Jahren wissen: Sie wirkt nicht!
 
„Herr Doktor“, sagt der Deutsche. „Herr Doktor! Was Sie verschrieben haben, hilft nicht. Aber geben Sie es mir wieder; da kenne ich wenigstens die Nebenwirkungen.“
 
Es wird sich nix ändern. Denn die Einzigen, die überhaupt etwas anderes sagen, die überhaupt eine Idee haben, was man noch ausprobieren könnte, mit denen muss man ja gar nicht reden. Mit denen darf man auch gar nicht reden.
Quelle: Volker Pispers – Bis neulich 2010

 
 

Hin und wieder höre oder sehe ich mir alte Kabarett-Sendungen an. Ist so ähnlich wie alte Nachrichtensendungen zu sehen, nur unterhaltsamer.
 
Dieser Auftritt von Volker Pispers ist von 2010 und trotzdem so aktuell wie eh und je. Sein letzter Auftritt war 2015; seinen endgültigen Abschied vom Kabarett verkündete er 2021. Irgendwo las ich mal (sinngemäß), er sei es leid, sich permanent zu wiederholen, finde das Zitat aber nicht mehr.
 
Die Aussage kann ich sehr gut nachvollziehen.
 
#JustMy2Cent

 

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